Die Anti-Atomstrom-Rebellion der Elektrizitätswerke Schönau – ein Interview mit Sebastian Sladek von den Stromrebellen

Greta Sparer (borisgloger Consulting)

Ein zweites Tschernobyl unmöglich machen – das war das erklärte Ziel der Stromrebellen, als sie – eine Handvoll Aktivist:innen aus dem 2.500-Seelen-Städtchen Schönau – sich im Wohnzimmer der Familie Sladek zusammensetzten. Was als Anti-Atomstrom-Protest begann, wurde 1996 zu den „Elektrizitätswerken Schönau“ (EWS) und versorgt heute deutschlandweit 200.000 Haushalte mit Strom. Sebastian Sladek, Sohn des Gründerpaares und Vorstandsmitglied, zeigt, warum der Generationenwechsel die Stromrebellen kein bisschen weniger rebellisch gemacht hat.

ZUK: Sebastian, man könnte fast glauben, die EWS wäre ein Sladek-Familienunternehmen. Was ist eure gemeinsame Geschichte?

Ich habe vier Geschwister, entsprechend groß war unser Wohnzimmer. Da hat es sich für die Bürgerinitiative „Eltern für eine atomfreie Zukunft“ (EfaZ), in der auch meine Eltern Mitglieder waren, einfach angeboten, diesen Raum für Versammlungen und Beratungen zu nutzen. Und aus dieser Bürgerinitiative sind schließlich die Elektrizitätswerke Schönau hervorgegangen. Bis dahin war es freilich ein langer Weg. 

Begonnen hat die Initiative mit Stromsparwettbewerben. Die einfache Idee dahinter war: Deutschland hatte damals 40 Prozent Atomstrom in seinem Mix. Wenn es allen Verbraucher:innen gelänge, 40 Prozent ihres Verbrauches einzusparen, dann könnten wir doch eigentlich aus dem Atomstrom aussteigen. Diese Wettbewerbe erfreuten sich von Jahr zu Jahr größerer Beliebtheit. Schließlich fragte die Initiative auch beim Netzbetreiber von Schönau an, ob der sie nicht unterstützen, vielleicht sogar auch einmal einen Preis stiften wolle. Daraufhin wurden sie angeblafft: ‚Wir wollen doch Strom verkaufen und keinen sparen. Passt bloß auf, dass wir nicht wegen Geschäftsschädigung gegen euch vorgehen.‘ 

Das weckte natürlich den badischen Widerstandsgeist und aus diesem wurde dann die Idee geboren, selbst Netzbetreiber zu werden. Bis es aber so weit kam, hat es zehn Jahre und zwei Bürgerentscheide in Schönau gebraucht. Und dies alles hat sich mehr oder weniger bei uns Sladeks daheim am Wohn- und Esszimmertisch abgespielt, bis dann 1994 die EWS gegründet und 1997 das Stromnetz von Schönau übernommen werden konnte. Die Nähe unserer Familie zur EWS ist also historisch begründet, ohne dass die EWS deswegen ein Familienunternehmen wäre.

ZUK: Du hast Archäologie studiert. Wie kam es dazu, dass du bei der EWS eingestiegen bist?

Bei uns zuhause wurde ständig über Energie gesprochen, bis zum Abitur waren meine Geschwister und ich mit dem Thema durch. Ich habe mich für Archäologie entschieden und viele Ausgrabungen rund ums Mittelmeer gemacht. Tolles Studium und ein tolles Fach, aber eine brotlose Kunst. Da war es zweifellos Glück, dass meine Eltern einen Energieversorger im Schwarzwald mitbegründet hatten, wo ich 2008 als Trainee anfangen durfte – ich habe mich also von der Vergangenheit der Zukunft zugewandt. 

Die Energiebranche mit ihrer Dynamik hat mich innerhalb kürzester Zeit unglaublich zu fesseln begonnen. Ich hatte auch eine sehr gute Lehrmeisterin: Mehrere Jahre saß ich mit meiner Mutter in einem Büro. Sie war Geschäftsführerin der EWS Vertriebs GmbH und später auch Vorstandsmitglied der eG. Wir beide waren ein richtig gutes Team. Es hat sehr viel Spaß gemacht, mit ihr zusammenzuarbeiten. Und von ihrem Wissen habe ich wahnsinnig profitiert. Immerhin war sie von Anfang an mit dabei, als 1998, im Jahr der Strommarktliberalisierung, die Regeln der Energieversorgung für alle komplett neugeschrieben wurden. Der große Wissensvorsprung einer RWE war weg. Die Regeln waren jetzt für die EWS genauso neu wie für alle anderen.

„Ich finde es motivierend, mich als Teil der Lösung anstatt des Problems zu fühlen.“

ZUK: Du bist nun seit 14 Jahren bei der EWS. Wie hat dich das verändert?

In diesen 14 Jahren bei der EWS habe ich mich sicher sehr verändert, schon allein, weil ich wahnsinnig viel gelernt habe – über Energiepolitik und Energiewirtschaft ebenso, wie über Menschen und Menschenführung. 2011 wurde ich Geschäftsführer der EWS Vertriebs-GmbH – dem bundesweiten Stromversorger. Seit 2015 bin ich Mitglied im Vorstand und verantwortlich für Marketing, Kommunikation und Politik. 

Und sicher haben sich auch mein Bewusstsein und meine Lebenshaltung verändert.

2008 habe ich mich noch wenig mit dem Klimawandel beschäftigt. Ich dachte mir damals, das geht dann langsam los, wenn ich um die 70 bin. Und für mich als Deutschen auch dann zunächst nur geldmäßig. In den letzten Jahren musste ich begreifen, dass das jetzt Schlag auf Schlag geht. Da wird mir um meine vier Kinder schon manchmal bange. Und so, wie meine Eltern damals nach Tschernobyl für eine andere, eine atomfreie Zukunft eintraten, muss ich das heute in Sachen Klimaschutz auch tun, das steht für mich außer Frage. Zudem finde ich es schön und motivierend, mich als Teil der Lösung anstatt des Problems zu fühlen. Ich könnte jetzt sagen, ich bin das der Menschheit schuldig. Aber ganz sicher bin ich es meinen Kindern schuldig. 

ZUK: Waren dein Bruder und du die natürlichen Nachfolger eurer Eltern im Vorstand?

Klar, so Fragen, wie eingangs nach dem „Familienunternehmen“ werden schon immer mal wieder gestellt. Nachdem meine Eltern 2015 aus dem Vorstand ausgeschieden sind und der Aufsichtsrat meinen Bruder und mich vorgeschlagen hat, gab es natürlich Stimmen, die gefragt haben, ob das hier ein Familienunternehmen ist. ‚Wird das jetzt an die Söhne übergeben? Das ist doch eine Genossenschaft.‘ 

Wir haben damals lange nach Vorständen gesucht und klar, unser beider Nachname war ganz sicher kein Malus. Beide haben wir uns aber durch jahrelange Tätigkeit und Führungspositionen in der Energiewirtschaft für den EWS-Vorstand qualifiziert und empfohlen – und ich finde uns als Wahl nach wie vor nicht schlecht. 

ZUK: Du hast von Differenzierung gesprochen, wie funktioniert die EWS heute?

Unser Hauptstandort ist immer noch Schönau, wo rund 200 der insgesamt 230 Mitarbeiter:innen sitzen, über alle Firmen hinweg. Die EWS eG hat 10.000 Mitglieder, von denen jedes eine Stimme in der Generalversammlung hat. Die eG ist eine Art Dachgesellschaft, die zentrale Dienste für die drei hundertprozentigen Tochtergesellschaften zur Verfügung stellt, wie IT, Buchhaltung usw. Diese Töchter sind die EWS-Netze (der Netzbetreiber mit 9 Netzen), die EWS-Vertriebsgesellschaft (der bundesweite Ökostromversorger mit 200.000 Ökostromkund:innen) und die EWS-Energiegesellschaft (unsere Projektierungs- und Kraftwerksgesellschaft, mit der wir selbst Kraftwerke bauen). 

Da alle Kraftwerke, die die Energiegesellschaft bisher gebaut hat, nicht ausreichen, um alle unsere Kund:innen zu versorgen, kauft die Vertriebsgesellschaft den größten Teil der Energiemengen auf europäischen Märkten ein. Aber nicht auf anonymen Börsen. Wir kennen unsere Handelspartner und kaufen gezielt. Eines unserer Beschaffungskriterien ist: Wir kaufen nicht von Kraftwerken, deren Eigentümer direkt oder indirekt mit Atom- oder Kohleenergie verbunden sind. Wir kaufen skandinavische Wasserkraft, österreichischen und deutschen Wind und in kleinen Mengen deutsche Photovoltaik. 

ZUK: Du bist Vorstand für Marketing, Kommunikation und Politik. Was ist eure politische Agenda?

Wir wollen gemeinsam mit unseren Netzwerken die Energiewende beschleunigen und unseren Teil zu ihrer Umsetzung leisten – und sicher werden wir dafür auch ein Stachel im Hintern der Regierungen bleiben müssen. Zu dieser Bewegung gehört auch der ein- oder andere Marktbegleiter, andere Ökostromanbieter, mit denen wir seit der ersten Stunde gemeinsame Kampagnen gemacht haben. Wir müssen jetzt eine Debatte führen, die wir seit 20 Jahren führen könnten. Was bedeutet die Energiewende für jeden Einzelnen? Was bedeutet sie für uns als Gesellschaft? Was bedeutet sie für die Industrie? Wir müssen die Energiewirtschaft umbauen, und Deutschland und Europa werden danach anders aussehen. 

Aber Deutschland betreibt seit zehn Jahren energiepolitischen Dilettantismus. Nehmen wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz: Im Jahr 2000 hatte es 10 Seiten, ich konnte mich mit dem Taschenrechner hinsetzen und ausrechnen, ob sich eine Photovoltaikanlage für mich auszahlt. Jeder konnte Strom ins Netz einspeisen und bekam einen garantierten Preis. Das hat viele Privatleute angesprochen. Die EWS hatte damals – und heute immer noch – ihr Förderprogramm „Schönauer Sonnencent“. Heute muss ich ein halber Verwaltungsjurist sein – überspitzt formuliert –, um das neue EEG zu verstehen, während zugleich die Erlöse immer weiter zurückgehen.

Ich habe große Hoffnung in die neue Regierung, aber die Situation ist ein bisschen verfahren. Wir haben keine Zeit mehr, uns den Atom- und Kohleausstieg noch einmal zu überlegen, weil wir sehen: „Hoppla, jetzt wird’s aber teuer.“ Wir wissen seit 20 Jahren, dass Energie viel zu billig ist. Aber anstatt offen darüber zu reden und es den Leuten etwa leichter zu machen, weniger zu verbrauchen, wurde bis dato jede Schwierigkeit mit Geld kompensiert. Das spaltet die Gesellschaft. 

ZUK: Klingt so, als ob wir mehr Energieversorger wie die EWS bräuchten. Was würdest du jemandem empfehlen, der das Erfolgsmodell der EWS kopieren möchte? 

Wir waren damals in einem optimalen Zeitfenster. Das ist – auch wegen gesetzlicher Rahmenbedingungen – gar nicht wiederholbar. Meine Mutter hat immer gesagt: ‚Wenn ich gewusst hätte, wie langwierig und mühsam das wird und welche Mauern man dabei übersteigen muss, dann wäre ich den Weg überhaupt nie losgegangen.‘ Was ich daraus gelernt habe: Wenn man sich ein Ziel gesetzt hat, nur von Mauer zu Mauer zu denken. Du kannst dir sicher sein, wenn du eine Mauer überwunden hast, ist da wahrscheinlich noch mal eine. Aber lassen wir uns überraschen, wir steigen sie trotzdem hoch. Wenn man dann die Mauer überwunden hat und da schon die nächste steht, dann wird immer wieder mal jemand einen Durchhänger haben und sagen: ‚Ich will nicht mehr.‘ Und dann braucht man Menschen, die einen auffangen, neu motivieren und sagen: ‚Komm, da steigen wir jetzt auch noch drüber.‘ Beim nächsten Mal ist es jemand anders. Es ist immer gut, in der Gruppe unterwegs zu sein. Dann verzweifelt man nicht so schnell.

„Wenn es mir gelingt, bei einem Mitarbeiter nachhaltige Begeisterung für seine Aufgabe zu wecken, dann wird sich das auf seine Leistung und auf ihn selbst auswirken.“

ZUK: Was bedeutet Nachhaltigkeit für dich ?

Das ist sehr facettenreich für mich. Ich kann das gut an Kreislaufwirtschaft erklären: dass man dem System nicht etwas entnehmen kann, was man ihm nicht in absehbarer Zeit wieder zurückgeben kann. Für mich kann Nachhaltigkeit aber auch etwas ganz anderes sein, zum Beispiel in der Mitarbeiterführung. Wenn es mir gelingt, bei jemandem nachhaltige Begeisterung für seine Aufgabe und damit intrinsische Motivation zu wecken, dann wird sich das auf seine Leistung, aber auch ihn oder sie selbst auswirken.

ZUK: Und bringt das dann dem Unternehmen mehr oder dem Menschen?

Vor allem dem Menschen. Man muss heute als Mitteleuropäer so viel Zeit in der Arbeit verbringen. Wenn man Sinn darin erkennt, hat man viel mehr Freude daran. So machen große Teile des Lebens mehr Spaß. Darum geht es mir in erster Linie. Dass dann auch etwas Besseres für das Unternehmen rauskommt, man besser zusammenarbeiten kann, dass man Menschen nicht drängen muss, weil die ihren Baustein von selbst anbringen und das sogar noch vor der Frist – das bringt nicht nur mehr Freude an der Arbeit für den Einzelnen selbst, sondern auch für die Kolleg:innen mit ihm. Wenn man bei seiner Arbeit das Gefühl hat, etwas Sinnhaftes zu tun, dann hat man es arbeitstechnisch schon fast geschafft.

ZUK: Was habt ihr als Nächstes vor?

Wir werden genau verfolgen, was die neue Regierung macht und auch Geschrei machen, wenn die Lösungen der zu bewältigenden Aufgabe (wieder) nicht gerecht werden. Wir werden natürlich auch in den ganz regulären Konsultationsverfahren unsere Meinung sagen. Hoffentlich lässt die Pandemie auch mal nach und hoffentlich ist dann Fridays for Future wieder da, und das hoffentlich noch kraftvoller. Es wäre toll – und auch dringend nötig –, wenn sich aus dem Schulterschluss vieler eine starke Klimaschutzbewegung formte. 

ZUK: Viel Erfolg und vielen Dank für das Gespräch!


Weitere Infos unter: www.ews-schoenau.de